In den 90ern wurde Microsofts “Embrace, extend and extinguish”-Strategie öffentlich Es war ein juristischer Kampf gegen freie oder alternative Software. Das Ziel dieser Strategie ist es sich in einem Masse anzupassen, dass der Konsument kein Verlangen nach einem Wechsel verspürt sondern bei MS-Produkten bleibt. Das Windows Subsystem for Linux (kurz WSL) ist ein gutes Beispiel für einen solchen Anpassungsschritt. Linux wird so in Windows integriert, dass der Nutzer alles hat was er braucht. Also warum wechseln? Aber der Reihe nach.

Rückblick

In den letzten 30 Jahren ist einiges passiert. In den 90ern und 00er Jahren vertrat MS die Haltung, dass freie open-source Software (FOSS) ihr geistiges Eigentum angreift. Es war ein juristicher, rhetorischer und strategisch aggressiver Kampf von MS gegen freie Software. Open-Source sei unsicher, unprofessionnell und unkommerziell. Mit dieser FUD-Taktik (Fear, Uncertainty, Doubt) sollten Entscheider in Unternehmen verunsichert werden.
Durch seine Stellung am Markt konnte Microsoft zum Beispiel offene Standards übernehmen und in proprietäre Formate überführen. So wurde der HTML 3.x / 4.0, CSS1/2, ECMAScript W3C-Standard von MS um proprietäre Features erweitert, die nur der Internet Explorer korrekt darstellen konnte.
Das OpenDocument Format (.odf) wurde lange Zeit nicht nativ unterstützt. Microsoft eintwickelte ein eigenes Format: Office Open XML (OOXML). Dieses sollte angeblich offen sein, besteht aber aus einer über 6000+ langen Spezifikation welche unter fragwürdigen Bedingungen unter “Fast Track” bei der ISO/IEC normiert wurde. Fast Track dient der schnellen Normierung reifer, weitverbreiteter Formater. Das gesamte Standardisierungsverfahren war hochumstritten.

2001 konnte man noch Zitate wie “Linux is a cancer that attaches itself in an intellectual property sense to everything it touches” von Steve Balmer lesen. Microsoft hat seine Patente aggressiv verteidigt. 2007 behauptete MS free open-source software (FOSS) verletze 235 Patente. [2009] ging MS gegen TomTom vor. TomTom hätte das Patent am FAT32-Dateisystem verletzt. TomTom legte den Fall bei in dem sie 2009 Lizenzen erwarben.

Das Auftreten war zu jener Zeit also durchaus aggressiv. Software galt als geistiges Eigentum, als niedergeschriebenes Wissen und das galt es zu verteidigen.

Umdenken

2016 tritt Microsoft dem Open Invention Network (OIN) bei.

Das OIN ist ein Industrie-Konsortium, das Softwarepatente erwirbt und diese jedem Unternehmen sowie jeder Privatperson frei zur Verfügung stellt, welche sich bereit erklären, keine Patentansprüche gegen das freie und quelloffene Betriebssystem GNU/Linux, noch gegen irgendwelche andere Software, welche mit Linux in Verbindung steht, geltend zu machen. Die OIN-Gemeinschaft hat über 3800 Mitglieder aus 150 Ländern und besitzt ca. 3 Millionen Patente und Patentanmeldungen. Sie ist somit die weltweit größte Patent-Nichtangriffsgemeinschaft zum Schutz von freier und quelloffener Software.
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Microsoft erkennt offenbar dass es an der Zeit ist sich weiter anzupassen. Ein Konzern der dies schon erfolgreich tat war Google mit Android. Einem Betriebssystem mit Linux-Kernel und Java-Oberfläche. Google hatte gezeigt, dass Unternehmensinteressen und Open-Source nicht im Widerspruch zu einander stehen sondern sich ergänzen können.

Ebenfalls 2016 veröffentlich Microsoft das Windows Subsystem for Linux. Eine Kompatiblitätsschicht die Linux-VMs auf Windows-PCs ermöglicht. Mit WSL2 können auch Docker-Container in WSL laufen, Microsoft implentiert alle wichtigen Grafiktreiber und APIs, es wird viel Aufwand in gute Performance gesteckt. Hier möchte Microsoft meiner Meinung nach insbesondere Entwicklerinnen abholen. Es könnte auch ein Schritt sein die Kundschaft auf weitere Veränderungen vorzubereiten und eigene Kompetenzen aufzubauen. Was sie auch fleißig tun.

2020 veröffentlicht Microsoft seine eigene Linux-Distribution. Kein Fork einer vorhandenen Distro sondern ein Neubau abgestimmt auf den Azure Stack. Das macht beim Blick auf die Zahlen auch Sinn. Fast 40% des Umsatzes werden mit Server-Produkten und Cloud-Services gemacht. Der zweitgrößte Posten sind die Office-Produkte. Windows trägt 2024 relativ 9,48%, absolut 23,24Mrd$ zum Umsatz bei.

Microsofts Umsatz 2024 nach Segmenten
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cloud-first-Strategie und Business Produkte

Office 365, Azure und Microsoft 365 sind die umsatzstärksten Produkte. Mit WaaS gibt es Windows as a Service bereits im Business Umfeld. Microsoft setzt hier, wie der Rest der Big-Tech-Industrie auf die Cloud und holt sich seine Kunden in die eigenen Rechenzentren. Das Produkt wird nicht mehr in Form von Software und geistigem Eigentum ausgeliefert, es ist eine reine abonierbare Dienstleistung. Windows läuft remote in der Cloud. So profitiert Microsoft mehrfach: Es muss sein Eigentum nicht herausgeben und kann sehr viele Metriken über den Betrieb einer Windows-Instanz monitoren. Der Hersteller behält die volle Kontrolle über sein Produkt und dessen Anwendung in seinem eigenen Umfeld. Der Kunde profitiert insofern als dass ihm viele administrative Aufgaben abgenommen werden.

technologische Altlasten

MS engagiert sich heute stark in der FOSS Community und trägt viel zum Quellcode des Linux-Kernels bei. Damit pflegt der Konzern 2 Betriebssystemkerne. Den monolitischen Linux-Kernel mit einer sauberen, modernen und stabilen Codebasis sowie seinen eigenen, aus Windows NT 3.1-Zeiten stammenden, Hybrid-Kernel. Microsoft hat sich bisher dazu entschlossen alte APIs wie Win32+GDI, die monolitsche Registry, COM (OLE, ActiveX) auch in aktuellen Windows-Kerneln anzubieten. Damit schleift der Kernel 30 Jahre alte legacy-Altlasten mit, welche die Implementierung moderner Konzepte wie cgroups, namespaces, eine Paketverwaltung nur über Umwege zulassen und dann auch nicht in voller Konsequenz ermöglich weil immer Umwege über die alten Schnittstellen möglich sind.

Bewegung im Markt

Windows dürfte für Microsoft mehr Mittel zum Zweck sein, seine Office-Produkte auf die Bildschirme dieser Welt zu bekommen. Es geht nach wie vor um Präsenz, Marktanteile. In 2025 werden 2 Ereignisse Druck auf Windows ausüben.

  1. EOS für Windows ab Oktober 2025
    Obwohl Windows 10 nach wie vor beliebter ist und höhere Marktanteile hat als Windows 11, wird es ab 14.10.2025 keine kostenlosen Updates mehr geben. So gibt es schon eine kritiserte Kampagne der KDE-Community die sich gezielt an aktuelle Windows 10 Nutzer richtet und diese einsammeln will.

  2. Android 16 mit Destkop-Modus
    Mitte des Jahres wird Android 16 mit nativem Desktop-Modus veröffentlicht werden. Das macht Android zur Windows-Konkurrenz auf dem Desktop.

Das sind 2 Entwicklungen die Windows dieses Jahr Druck machen und Bewegung in den Markt bringen können.

Szenarien

Microsoft passt sich der Marktlage immer wieder an. Die Strategie ist nach wie vor Embrace, extend and extinguish. Daran hat sich nichts geändert. Nur der Stil hat sich gewandelt, ist subtiler und geschickter geworden. Anstatt gegen open-source vorzugehen, kauft Microsoft Github. VS Code ist zwar offen, um die Extensions vollumfänglich nutzen zu können braucht man MS-Dienste. Typescript wird zwar öffentlich gepflegt aber von Microsoft gesteuert. Azure läuft auf Linux, die Plattform und Pipelines sind aber wieder geschlossen. Dies stellt auch die neue Form der Bindung dar: es geht nicht mehr um einzelne Produkte, darum ob der Anwender Linux oder Windows nutzt. Ziel ist Plattformbindung. Wie wir gesehen haben sind Cloud-Dienste die Cashcow der Stunde, nicht das gute alte Desktop-Windows.

So ist auch Windows nur ein Vehikel für Produkte und Reichweite das in den letzten Jahren an Geschwindigkeit verloren hat und dieses Jahr weiter an Fahrt verlieren könnte. Zudem ist es, um einen Autovergleich anzustrengen, ein Verbrenner. Auch das wird Microsoft bewusst sein. Die entscheidende Frage ist somit: Wie lange will sich der Konzern die große Rückwärtskompatiblität im Kernel noch etwas kosten lassen?

Meine Vorstellung gibt folgendes her:
MS baut sich eine Windows UI/UX auf einem Linux-Kernel. Ähnlich wie es Google mit Android gemacht hat. Um Windows und gleichzeitig POSIX-kompatibel zu sein zieht man zwischen UI und Kernel eine Schicht wie Wine ein. Damit laufen .exe-Programme., dll-Bibliotheken lassen sich einbinden. Wine ist heute der gängige Weg um Windows-Programme auf Linux-Systemen laufen zu lassen und das funktioniert ziemlich gut. Ist nur eine Idee. Wir werden sehen wohin der Zug fährt.